Betrachtungen

Randbemerkungen zu verschiedenen Themen

 

Auf dem Weg zur marktkonformen Wissenschaft
30.11.2018

Immer mehr Industriegelder fließen in die Hochschulen, regelmäßig finanzieren Wirtschaftsunternehmen die Forschung. Die unabhängige Expertise gerät ins Hintertreffen.

Man denkt zunächst an einen Witz, ist aber keiner: der „Hörsaal Aldi Süd“ an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt.
Oder so: die Firma Veolia für Entsorgungsmanagement, Wassermanagement und Energiedienstleistungen bezahlt einen Professor für Wasserwirtschaft an der TU Berlin.
Oder ebenfalls nicht witzig: Die Universität Köln schließt einen Geheimvertrag mit der Bayer AG ab, und das Energiewirtschaftliche Institut (EWI) der Uni wird stark durch Energiekonzerne finanziert.
Oder weiter zum Kopfschütteln: Beim Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München sind mehrere Arbeitgeberverbände für die Finanzierung aus Stiftungskapital zuständig.
Und zu schlechter Letzt: Google kooperiert mit dem Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft an der Humboldt-Universität Berlin.

Die Drittmittelfinanzierung deutscher Hochschulen hat sich in zehn Jahren von 2000 bis 2010 mehr als verdoppelt; im Jahr 2015 floss jeder fünfte Euro an Drittmitteln für deutsche Universitäten aus der privaten Wirtschaft.

Etablierung einer post-akademischen marktkonformen Wissenschaft

Unter dem Druck globaler Verwertungsinteressen und knapper öffentlicher Mittel tritt Grundlagenforschung immer mehr zurück zugunsten anwendungsnaher Forschung. Parallel zu einer marktkonformen Demokratie hat sich eine marktkonforme Wissenschaft herausgebildet. Diese post-akademische Wissenschaft erzeugt kein öffentliches Wissen mehr, sondern privatisiert das Wissen und schottet es ab. Forschungsergebnisse werden als sogenannte Betriebsgeheimnisse unter Verschluss gehalten.

Die herrschende Politik fördert diese Entwicklung noch: Es geht ihr in erster Linie nicht um die Wissenschaft, sondern um den Standort Deutschland. Sie folgt dem international zu beobachtenden Trend, Wissenschaft und Forschung als bloße Wirtschaftsfaktoren aufzufassen und Wissen gewinnbringend in Eigentum zu verwandeln. Viele Hochschulgesetze lassen es zu, dass Informationen über Drittmittelprojekte und Forschungskooperationen unter Verschluss bleiben.

Private Forschung unterdrückt unliebsame Ergebnisse

In der Medikamentenforschung werden heute etwa 90 Prozent aller veröffentlichten Studien durch die Pharmaindustrie finanziert. Die Arzneimittel werden von denselben Unternehmen getestet, die sie auch herstellen. Viele Studien sind mangelhaft, weil sie mit einer zu kleinen Zahl zudem nicht repräsentativer Patienten und mit unzulänglichen Analyseverfahren durchgeführt werden. Sollten die Studien außerdem ungünstig ausfallen, ist das forschende Unternehmen berechtigt, die Ergebnisse den Ärzten und Patienten gegenüber zu verschweigen und die tatsächliche Wirkung eines Arzneimittels vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Ein Nutzen der Medikamente kann so hochgejubelt werden und Schäden verharmlost. Lange bekannt ist ja die traurige Tatsache, dass die Tabakindustrie Forscher jahrzehntelang mit spendablen Geldzuwendungen motivierte, wahrheitswidrig zu behaupteten, Rauchen bzw. Passivrauchen sei unschädlich. Oder auch die Chemieindustrie: die bediente sich Forschern, die nachwiesen, dass gesundheitsschädigende Chemikalien ungefährlich sind, so dass diese jahrzehntelang weiterproduziert werden konnten.

Eine Binsenweisheit, die aber noch einmal gesagt werden muss: Studien, die von der Industrie bezahlt werden, führen mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einem positiven und für den Hersteller günstigen Ergebnis als unabhängige Studien.

Wissen zum Nutzen von wenigen gefährdet die Freiheit der Wissenschaft.

Von diesem wirtschaftsfinanzierten Wissen profitieren nur wenige, und eine derartige privatisierte Wissenschaft entspricht nicht den Wünschen der Vielen. Dieses marktkonforme Wissen dient nicht mehr der Allgemeinheit, sondern den Konzerneigentümern. Zwar gewährleistet das Grundgesetz die Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Anwendungsdruck in der Forschung und Gewinnerwartung der finanzierenden Wirtschaft bringt die Freiheit der Wissenschaft jedoch in Gefahr.


Link:

  • Streitfall: Militärische Forschung an deutschen Unis | Nachdenkseiten (11.01.2019)
    Eine weitere große Militärkonferenz war in den Jahren 2015 und 2016 die „Kiel Conference“, die zusammen vom ISPK und dem „Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters“, einem Kompetenzzentrum der NATO, veranstaltet wurde. Partner dieser Veranstaltungsreihe waren unter anderem auch Atlas Elektronik, HDW, Blohm + Voss, Irving Shipbuilding und Gabler Naval Technology. Seit 2017 wird diese Veranstaltung offenbar durch das „Kiel International Seapower Symposium“ abgelöst, das nun in Kooperation mit dem Center for Naval Analyses veranstaltet wird. Das CNA ist übrigens das von der US-Regierung finanzierte Forschungs- und Entwicklungszentrum der US Navy und des US Marine Corps.